Die Wissenschaft hinter MyGardenOfTrees

MyGardenOfTrees beinhaltet ein großflächig angelegtes Experiment mit Hilfe von  partizipativer Wissenschaft. Beobachtungen aus diesem Experiment werden mit genomischen Daten kombiniert, um ein Vorhersagetool für Förster:innen in ganz Europa zu erstellen.

Grundprinzip

Förster:innen nutzen bereits seit Jahrhunderten Provenienzversuche (siehe Glossar), um die Wuchsleistung verschiedener Waldbaumarten und Herkünften an dem jeweiligen Standort zu vergleichen. Die Ergebnisse dieser Versuche halfen, zu bewerten, welche Baumarten sich für Pflanzungen und Aufforstungen am besten eignen. Die Erkenntnisse für Arten und Herkünfte wurden dabei jedoch nur für den jeweiligen, oft idealen, Standort gewonnen und können nicht auf andere Waldflächen übertragen werden. Außerdem werden Provenienzversuche mit in Baumschulen aufgezogenen Setzlingen durchgeführt und lassen daher keine Rückschlüsse auf die natürliche Verjüngung zu. 

MyGardenOfTrees versucht, diese Mängel zu beheben, indem es parallel hunderte von kleinen Provenienzversuchen, so genannte  Mikrogärten (siehe Glossar) einrichtet, die jeweils von einem:r örtlichen Förster:in betreut werden. Die Gärten werden direkt aus Samen im Wald angelegt, ein Ansatz, der als Direktsaat bezeichnet wird. Solche verteilten Versuche wurden bereits erfolgreich in der Landwirtschaft eingesetzt, wo Landwirte die Klimaresistenz von Kulturpflanzen und Gemüsesorten getestet haben.

Das Versuchsdesign der "verteilten Provienzen" von MyGardenOfTrees. Das Saatgut wird an mehreren Standorten in verschiedenen Artenbereichen (Samenquellen) gesammelt und an hunderte von kleinen Teststandorten verteilt. Beachte, dass diese Abbildung eine schematische Darstellung für Buchenarten (Fagus spp.) und nicht die tatsächliche Lage von Samenquellen und Teststandorten ist.

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Warum brauchen wir einen neuartigen, artenübergreifenden Transplantationsansatz?


Wie sich Organismen an ihre Umwelt anpassen, ist die grundlegendste Frage der Evolutionsbiologie und angesichts der Bedrohungen durch den Klimawandel von größter Bedeutung. Die Identifizierung von Schlüsselmerkmalen, die an Anpassungen beteiligt sind, und das Verständnis, wie sie miteinander und mit der Umwelt interagieren, ist eine besonders dringende Aufgabe für Basis- und Ressourcen produzierende Arten, wie z. B. Waldbäume. Bestehende Experimente zur Bewertung lokaler Anpassungen mangelt es an Skalierbarkeit und Vorhersagbarkeit in natürlichen Umgebungen, insbesondere an den Rändern des Verbreitungsgebiets von Arten. Landschaftsgenomische Studien könnten adaptive Loci über Umweltgradienten hinweg aufdecken, werden aber durch die Annahmen eines neutralen Modells und die hochgradig polygene Natur der meisten Merkmale behindert. Um diese Mängel zu beheben, wird MyGardenOfTrees das erste artenübergreifende Experiment sein, bei dem partizipative Wissenschaft und Genomik eingesetzt werden, um (i) wichtige Muster und Triebkräfte der Anpassung aufzudecken und (ii) ein Vorhersagemodell für die Auswahl optimaler Saatgutquellen für einen bestimmten Standort zu erstellen, das die Wechselwirkungen zwischen Genen und Umwelt sowie die Demografie berücksichtigt. Das partizipative Netzwerk von Förster_Innen richtet eine große Anzahl (etwa 500 in drei Jahren) kleiner Herkunftsversuche, so genannter Mikrogärten, ein. Um die Leistung der Pflanzen unter neuen Klimabedingungen zu bewerten, werden die Gärten auch außerhalb des derzeitigen Verbreitungsgebiets der Arten angelegt, insbesondere in höheren Lagen und Breitengraden. Die Teilnehmenden verpflichten sich für einen Zeitraum von fünf Jahren; das Projekt konzentriert sich daher hauptsächlich auf die Überwachung und Analyse der frühen Überlebens- und Wachstumsmerkmale, die bei Bäumen dem höchsten Selektionsdruck ausgesetzt sind. Dennoch werden die Teilnehmenden ermutigt, ihre Bäume über den Zeitrahmen dieses Projekts hinaus zu behalten und zu verfolgen.


Wie sieht ein Mikrogarten aus?

Mikrogärten werden aus Samen direkt im Wald angelegt, ein Ansatz, der als Direktsaat bezeichnet wird (siehe Glossar). Jeder Mikrogarten enthält 100 sogenannte "Saatstellen" die 10 Samen einer sorgfältig ausgewählten Provenienz enthalten, welche auf einem  experimentellen Design basiert. Das Saatgut wird mit speziell entwickelten Schutzvorrichtungen geschützt, um Fraß vorzubeugen und zu verhindern, dass der Wald, in dem die Versuche angelegt werden, mit fremden Samen kontaminiert wird. 

Ein Mikrogarten in Frankreich.

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Schematic view of a micro-garden

Warum partizipative Forschung?

Ein Netzwerk aus hunderten Mikrogärten anzulegen und zu betreiben, übersteigt die Kapazitäten eines kleinen Forschungsteams bei Weitem. MyGardenOfTrees überwindet diese Herausforderung, im dem es einen partizipativen Ansatz wählt. Gleichzeitig haben Förster:innen die Möglichkeit, die Keimung, das Überleben und das Wachstum verschiedener Herkünfte zu beobachten und sich an einer beispiellosen Forschungsarbeit zu beteiligen, um geeignete Herkünfte für die Wiederaufforstung an Standorten zu finden, die durch den Klimawandel gefährdet sind. Die Daten werden von den Teilnehmer:innen mithilfe von Formularen erfasst, die mit dem kostenlosen Tool ODK Collect/Enketo implementiert und mit unseren Datenbanken verbunden sind.

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Kann die partizipative Wissenschaft ausreichend genaue Beobachtungen liefern?

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen partizipativen Forschung liegt darin, die richtige Übereinstimmung zwischen der partizipativen Zielgruppe und dem Ziel zu finden. Ein ähnlicher Ansatz der partizipativen Forschung wurde bereits erfolgreich in der Landwirtschaft angewandt, wo Landwirte die Klimaresistenz von Getreide- und Gemüsesorten getestet haben. Die Landwirte wurden gebeten, Testversuche mit Nutzpflanzen durchzuführen, um sie für Szenarien des Klimawandels zu züchten und so das Wissen und die Motivation einer bestimmten Zielgruppe zu nutzen. Waldbäume weisen die gleichen Merkmale auf wie Nutz- und Wildpflanzen, was sie zu idealen Studienorganismen für ein partizipatives Evolutionsforschungsprojekt macht. Obwohl viele Wälder bewirtschaftet oder angepflanzt werden, können die meisten Waldbaumpopulationen aus evolutionärer und ökologischer Sicht als natürlich angesehen werden. In ganz Europa gibt es zahlreiche sachkundige Förster:Innen, die sich um die Zukunft unserer Wälder sorgen und wahrscheinlich motiviert sind, an einem Versuchsprojekt teilzunehmen.

Ein weiterer Aspekt einer erfolgreichen partizipativen Forschung ist die standardisierte Datenerfassung. Dank der von unserem Wissenschaftlerteam erstellten Erhebungsformulare, die in einer benutzerfreundlichen App (ODK Collect [Android] / Enketo [alle Plattformen]) verfügbar sind, haben alle Daten das gleiche Format und werden in Datenbanken gespeichert, die sofort verwendet werden können.

Weiterführende Literatur:

Warum diese Arten?

MyGardenOfTrees untersucht mehrere Herkünfte von Weißtanne (Abies alba Mill.) und Rotbuche (Fagus sylvatica L.). Beide Arten sind in Europa heimisch und haben eine wichtige ökologische und wirtschaftliche Bedeutung für die europäischen Waldökosysteme.

MyGardenOfTrees untersucht auch die mediterranen und orientalischen Schwesterarten, wie die Orientalische Buche (Fagus sylvatica subsp. orientalis (Lipsky) Greuter & Burdet) und die Nordmanntanne (Abies nordmanniana). 

Wenn sie sich als leistungsfähiger erweisen, können die Förster:innen die Einfuhr dieser Arten im Rahmen der so genannten 'unterstützten Migration' (siehe Glossar) in Betracht ziehen. 


Das Verbreitungsgebiet der Tannen- und Buchenarten in Europa und im Nahen Osten.

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Warum untersucht MyGardenOfTrees diese beiden Arten?

Sowohl die Tanne als auch die Buche sind in letzter Zeit im Zusammenhang mit dem Klimawandel von Interesse, da sie trockenheitstoleranter sind als andere dominante Waldbaumarten, wie die Fichte (Picea abies). Beide Arten haben jedoch mehrere mediterrane und orientalische Schwesterarten und Unterarten, die eine höhere genetische Vielfalt aufweisen als unsere europäischen Arten. Die genetische Vielfalt ist die Grundlage für Anpassung und Widerstandsfähigkeit, so dass die Einbeziehung dieser Schwesterarten in unsere Versuche wertvolle Erkenntnisse für die Gestaltung von Programmen zur Unterstützung der Migration in Europa liefern wird. Insbesondere werden wir die Orientalische Buche (Fagus sylvatica subsp. orientalis (Lipsky) Greuter & Burdet) untersuchen, die in ihren zahlreichen Regionen wie in Bulgarien und Griechenland, aber auch in angepflanzten orientalischen Buchenstandorten in westeuropäischen Ländern häufig mit der Europäischen Buche hybridisiert. 


Weiterführende Literatur:

Warum ergänzen wir die Merkmalsbeobachtungen mit genomischen Daten?

Die verschiedenen Provenienzen oder Populationen im gesamten Verbreitungsgebiet einer Art haben eine gemeinsame Geschichte: Sie sind alle Nachkommen einer Vorgängerpopulation, die irgendwann in der Vergangenheit lebte. Während der Besiedlung ihrer heutigen Lebensräume haben sich die Populationen voneinander unterschieden, was sich in ihren Genomen manifestiert hat. Einige dieser Unterschiede zwischen den Populationen sind neutral (oder zufällig), da sich in jeder Generation nur eine endliche Anzahl von Individuen fortpflanzt, während andere Unterschiede das Ergebnis natürlicher Selektion sind. MyGardenOfTrees sammelt genomische Daten, um diese beiden Prozesse auseinander zu halten, die für die Interpretation der Beobachtungen aus dem Mikrogarten notwendig sind.

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Genomische Daten


MyGardenOfTrees wird homogene, genomische Daten für beide untersuchten Arten erzeugen. Die Rotbuche hat eine moderate Genomgröße von 542 Mb, und die Qualität des Assemblings ist hoch. Die Weißtanne hat ein Giga-Genom von 18,16 Gb und dementsprechend ist die Qualität des Assemblings gering. In Anbetracht dieser Unterschiede werden wir für die beiden Arten unterschiedliche Ansätze verwenden. Bei der Rotbuche werden wir die Sequenzierung des gesamten Genoms an einer Auswahl von Mutterbäumen durchführen. Bei der Weißtanne wird das vollständige Transkriptom von 10 biogeografisch repräsentativen Individuen sequenziert, anschließend werden 80K Capture-Sonden entworfen und an einer biogeografisch repräsentativen Untergruppe von 100-150 Individuen pro Artengruppe getestet. Anschließend werden etwa 40K Zielregionen mit SNPs aus dem gesamten Verbreitungsgebiet für die Genotypisierung einer Auswahl von Mutterbäumen ausgewählt.


Weiterführende Literatur:

Ein Prognosetool für Förster:Innen, entwickelt von unserem Forschungsteam

Beobachtungen aus Hunderten von Gärten in ganz Europa werden mit genomischen Daten kombiniert, um allgemeine Schlussfolgerungen über die Klimaanpassung von Sorten zu ziehen. MyGardenOfTrees wird auch ein Prognosetool in Form einer webbasierten App für Förster:Innen entwickeln, das ihnen bei der Auswahl des besten Saatguts für ihre lokale Umgebung helfen soll. Für das MyGardenOfTrees-Team ist es von entscheidender Bedeutung, den Teilnehmenden die Vorteile des Projekts als Ganzes zu vermitteln.

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Integration von Gen-Umwelt-Interaktionen in ein Vorhersageinstrument


MyGardenOfTrees wird in einem genomischen Vorhersagemodell eingesetzt werden, das die genetische Ähnlichkeit zwischen Populationen und die ähnliche Umwelt zwischen den Standorten der Gärten ausnutzt. Das neue Instrument kann zur Vorhersage der Überlebenseistung von Populationen in auch nicht getesteten und zukünftigen, Umgebungen und zur Vorhersage der Leistung neuer (aber genotypisierter) Populationen, die in keiner Umgebung getestet wurden, verwendet werden. Mit dem neuen Instrument werden zwei wesentliche Einschränkungen der bestehenden Modelle überwunden: Erstens beruhen die bestehenden Vorhersagemodelle zur Bewertung der mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für Waldbäume auf Klimadaten und gehen daher von einer lokalen Anpassung aus (Artenverteilungsmodelle oder Klimaübertragungsfunktionen). Die Rolle der historischen Kontingenz wird dabei oft ignoriert, obwohl allgemein beobachtbar ist, dass verschiedene Stammbäume unterschiedliche Phänotypen, z. B. Wachstumsmuster, aufweisen. Zweitens beruhen die bestehenden Modelle auf Produktionsmerkmalen und lassen frühe Merkmale außer Acht. Das neue Instrument ist daher geeignet, um zu entscheiden, ob eine 'unterstützte Artenwanderung' in Betracht gezogen werden sollte oder ob eine natürliche Verjüngung ausreicht, und wird dadurch dazu beitragen, Entscheidungen über die Wiederherstellung von Wäldern durch Direktsaat treffen zu können. Die Direktsaat könnte angesichts des zunehmenden Mangels an natürlicher Verjüngung in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Die Direktsaat kann auch ein effizientes Instrument sein, um Risiken im Zusammenhang mit Extremereignissen zu mindern, indem sie hilft,  Reinbestände in Mischbestände umzuwandeln und so deren Vielfalt und Widerstandsfähigkeit erhöht.


Weiterführende Literatur:

Finanzierung